top of page

Bowie in Berlin

Nachdem sie bereits in London für lange Schlangen gesorgt hat, ist die große David Bowie-Ausstellung nun in Berlin eingetroffen. Der Meister hat sein Archiv, seinen Kleiderschrank und seine Asservatenkammer geöffnet und präsentiert die Ausbeute – rund 300 Exponate – bis zum 10.08. im Martin-Gropius-Bau (www.davidbowie-berlin.de). Mit dieser Ausstellung ist Bowies Status als Kultfigur endgültig bestätigt. Kaum eine Person hat in der Musikszene über Jahrzehnte hinweg so viel Einfluss ausgeübt wie dieser Mann. Bowie war der erste Superstar der 1970er und sprengte dabei die Grenzen seines Genres:

War Rock vorher eine Domäne der abgerissenen, ledertragenden Machos gewesen, so schwebte mit Bowie plötzlich ein androgynes Wesen aus dem Weltall auf die Bühne herab. Er veränderte sein Erscheinungsbild immer wieder und war mit dem herkömmlichen Vokabular der Musikszene kaum erfassbar. Und dass er sich als (angeblich) schwul outete, sollte damals eine größere Sensation darstellen. Bowies Musik konnte manchmal mittelmäßig oder gar banal sein – aber jenseits dieses „Füllmaterials“ produzierte er zahlreiche außergewöhnliche Songs. Um nur ein paar davon zu nennen: sein legendäres Weltraum-Epos „Space Oddity“, das zusammen mit John Lennon aufgenommene „Fame“, die Berlin-Hymne „Heroes“, das düstere „Ashes to Ashes“ und das ekstatisch-melancholische „Let’s Dance“. David Bowie gehörte zu den ersten Rockstars, die ihr Schaffen als ein Gesamtkunstwerk verstanden und das Visuelle als ebenso wichtig ansahen wie das Musikalische. Selbst wenn man heutzutage angesichts der grellen Glam Rock-Ästhetik eines „Ziggy Stardust“ erschaudern mag und auch einige andere Bowie-Outfits lieber vergessen möchte: Wer diesen Mann gesehen hatte, vergaß ihn nicht so schnell!

Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Bowie es geschafft hat, über Jahrzehnte hinweg als „cool“ zu gelten (obwohl sein musikalisches Schaffen auf der innovativen Ebene seit längerer Zeit nicht mehr an die frühen Werke anknüpfen kann). Als gut gealterte Stil-Ikone ist Bowie das Schicksal erspart geblieben, das unzählige Musiker irgendwann ereilte: Sich in eine aufgedunsene Parodie seiner selbst zu verwandeln. Bowie bleibt kameratauglich und man kann sich kaum vorstellen, dass er in drei Jahren seinen 70. Geburtstag feiern wird. Für die Berliner es eine besondere Ehre, dass die Bowie-Ausstellung in ihrer Stadt Halt macht. Schließlich ist Bowies Geschichte eng mit ihrer Metropole verflochten: Er lebte von 1976 bis 1978 in West-Berlin. In diesem Zeitraum sollten die als Meilensteine geltenden Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ entstehen, die das Berlin-Feeling der siebziger Jahre verkörpern. Die Ausstellung im Gropius-Gebäude weist im Gegensatz zu ihrem Londoner Gegenstück deswegen auch erweiterte Berlin-Bezüge auf. Was aber hat einen David Bowie überhaupt nach Berlin gezogen? Was suchte er dort?

Als Bowie in Berlin auftauchte, war die Stadt nach den Turbulenzen und der aufgeheizten Atmosphäre der 1960er etwas zur Ruhe gekommen. Zugleich war Berlin aber ein Planet der ganz eigenen Art: eine vom Krieg immer noch gezeichnete, geteilte Stadt. Im Osten hatten sich die Genossen um den Alexanderplatz herum gerade ihre sozialistische Utopie erbaut. Zugleich zeichnete sich das Stadtzentrum aber auch durch riesige Leerflächen aus, die das Ergebnis des Krieges und der sozialistischen Stadtplanung waren. Sie verliehen Ost-Berlin eine öde, steinerne Sterilität. Zugleich sollten, oft nur ein paar hundert Meter weiter, ganze Stadtteile flächendeckend verrotteten.

West-Berlin war noch eine Spur extremer – eine eingemauerte Stadt, die nur von den Subventionen aus der Bundesrepublik am Leben erhalten wurde. Der Glanz des „Kudamms“ täuschte: Wer genauer hinsah, bemerkte die Sex-Kinos und Billigkneipen, die sich dort ausgebreitet hatten … und die heroinsüchtigen Teenager, die 1978 als „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine ganze Nation schockieren sollten. Vom Elend der Kreuzberger Hinterhöfe ganz zu schweigen. West-Berlin war eine überalterte, stellenweise merkwürdig leer wirkende Stadt, die langsam abzusterben drohte. Zugleich sollte diese marode Halbstadt auf bestimmte Menschen eine große Anziehungskraft ausüben: Man musste dort aufgrund ihrer besonderen rechtlichen Stellung keinen Wehr- oder Zivildienst ableisten. Das machte West-Berlin zu einem Magneten für „Totalverweigerer“. Die exponierte Lage (primär durch die Mauer symbolisiert) und die damit verbundenen Besonderheiten der Stadt zogen an Extremsituationen interessierte Menschen an. Die vielerorts noch sichtbaren Kriegsschäden verstärkten diese Faszination ebenso wie das schwache, aber noch deutlich wahrnehmbare Echo der zwanziger Jahre. Und natürlich stieß man in der ehemaligen „Reichshauptstadt“ überall auf die Spuren des Nationalsozialismus. Zugleich sollte Berlin immer noch eine lebenslustige Metropole mit spannendem Nachtleben sein. Vielleicht war es damals die extremste Stadt Europas. Einem David Bowie wird das sicher nicht entgangen sein. Aber er hatte auch andere Gründe, Berlin aufzusuchen:

Nach den großen Erfolgen der frühen siebziger Jahre schien der in den USA lebende Musiker einen toten Punkt erreicht zu haben. Er wurde einerseits von seinen Fans abgöttisch verehrt, gleichzeitig jedoch wegen vermeintlicher Faschismus-Sympathien angefeindet. Sein exzessiver Kokainkonsum war ihm deutlich anzusehen. Bowie brauchte einen „reload“ und wollte erst einmal aus dem Rampenlicht verschwinden. Hinzu kam, dass es nach einem teuren Bruch mit seinem Management auch aus steuerlichen Gründen ratsam erschien, einen Ortswechsel vorzunehmen. Das unprätentiöse West-Berlin war dafür gut geeignet: Hier wurde man in Ruhe gelassen, hier konnte Bowie nach den Jahren im Weltall wieder auf dem Planeten Erde landen. Zudem interessierte er sich für das deutsche Kino der zwanziger Jahre – und für deutsche Bands wie Kraftwerk, Neu und Can, die damals musikalisch in neue Sphären vorstießen. So wie Bowie es einige Jahre zuvor selbst getan hatte.

Über Bowies Zeit in Berlin ist sehr viel geschrieben worden, obwohl es nur einen kleinen Kern nachweisbarer Fakten gibt. Man könnte sich vorstellen, dass ein großer Star wie er von Menschen umgeben war, die ihn beobachteten, die alles registrierten, die Tagebücher schrieben. Aber so waren die 1970er nicht – und West-Berlin schon gar nicht! Im Jahrzehnt der großen Ideen, Konzepte und Utopien dokumentierte man nicht, man machte. Und nahm bewusstseinsverändernde Substanzen zu sich. Deswegen bestehen Bowies Berliner Jahre zum großen Teil aus Anekdoten und Mythen, die endlos reproduziert werden.

Belegt ist, dass Bowie in einer großen Altbauwohnung in der Schöneberger Hauptstraße 155 lebte. Er soll oft in der benachbarten Schwulenkneipe „Anderes Ufer“ in der Hauptstraße 157 gewesen sein. Zu später Stunde war er im „Dschungel“ in der Nürnberger Straße 53, im „Chez Romy Haag“ in der Fuggerstraße 33, im „Exil“ am Paul-Lincke-Ufer oder in der „Paris Bar“ in der Kantstraße. Seine Musik wurde wiederum im berühmten Hansa-Studio am Potsdamer Platz aufgenommen. Und wenn es Bowie nach Kultur durstete, ging er ins Brücke-Museum. Der örtliche Bekannten- und Freundeskreis war überschaubar. Die Geschichte seines WG-Mitbewohners Iggy Pop ist schon unzählige Male erzählt worden: Die Punk-Legende vergriff sich ständig am Inhalt von Bowies Kühlschrank und musste deswegen schließlich gehen. Auch Bowies Beziehung mit Romy Haag gehört zum Kanon seiner Berliner Jahre. Dann war da natürlich seine Assistentin Coco Schwab. Zu der kleinen Gang gehörte auch, last but not least, Iggy Pops Freundin Esther Friedmann. Und im Studio sollten sein Produzent Tony Visconti sowie der Toningenieur Eduard Meyer die wichtigsten Rollen spielen.

Wer Bowie damals begegnete, berichtet fast nur Positives über ihn: Bowie war höflich, zurückhaltend und bescheiden. In dieses Bild passt auch die Geschichte, wie Bowie am „Anderes Ufer“ vorbeikam und sah, dass die Frontscheibe zerstört worden war. Er gab dem aufgelösten Besitzer der Bar sofort das Geld für die Beseitigung des Schadens. Einen freundlichen Bowie sollte damals auch die Mutter des Verfassers dieses Textes erleben: Sie arbeitete zu jener Zeit in der Modebranche und saß eines Abends mit anderen Models in einer Bar nahe des Kudamms, als sie an einem benachbarten Tisch einen Mann erblickte, der nur David Bowie sein konnte. Ihre Begleiterinnen wollten das aber nicht glauben. Schließlich erklärte sie sich bereit, als Gegenleistung für eine Flasche Champagner den Herrn nach seiner Identität zu fragen. Und so ging sie an seinen Tisch, sprach ihn an – und es war tatsächlich ein „irrsinnig charmanter“ Bowie. Die Damen luden ihn dann auf ein Glas des besagten Champagners ein. Aber Bowie sollte an diesem Abend abstinent sein (obwohl alkoholische Eskapaden zum Legendenschatz seiner Berlin-Jahre gehören).

In Berlin erholte sich David Bowie von seiner Kokainsucht und erlebte einen intensiven kreativen Schub. Die daraus hervorgehenden drei Alben gehören zu den wichtigsten „Zeitzeugen“ des damaligen Berlins. Mit „Heroes“ hat Bowie dabei den Berlin-in-den-Zeiten-der-Mauer-Song geschrieben: Ein Lied, in dem es darum geht, wie man den übermächtigen Umständen des Lebens trotzen kann – und sei es auch nur für einen Tag. Bowie hat „Heroes“ übrigens auch in deutscher und französischer Sprache aufgenommen. Nach diesen drei Schallplatten schien Bowie sich an Berlin abgearbeitet zu haben. Viel mehr ließ sich aus dieser Stadt für ihn nicht mehr herausholen. Und er wird sich im Klaren darüber gewesen sein, dass West-Berlin, so ungewöhnlich es damals auch war, letzten Endes etwas Provinzielles an sich hatte. Es war Zeit, wieder in die große, weite Welt zu ziehen – und so verließ Bowie Berlin. Danach pendelte er zwischen New York, London und der Schweiz.

Das alles liegt bald vierzig Jahre zurück. Das West-Berlin jener Zeit existiert schon lange nicht mehr. Aber es hat im Künstler bleibende Spuren hinterlassen: An seinem 66. Geburtstag veröffentlichte Bowie 2013 überraschend die Single „Where Are We Now?“, mit der er noch einmal nach Berlin zurückkehrte. Der nostalgische, wehmütige Song verweist auf die Orte, die seinen Aufenthalt einst prägten – aber auch auf Stätten, die später ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken sollten: der „Dschungel“-Club, der Potsdamer Platz, die Bösebrücke (der erste Übergang, an dem 1989 die Mauer geöffnet wurde) und das KaDeWe (wo Bowie gelegentlich Lebensmittel einkaufte). Und nun ist Bowie wieder in Berlin!

bottom of page